Zen-Bücher | Buddhismus und Quantenphysik. Die Wirklichkeitsbeg...
Autor: Christian T. Kohl
ISBN:3893854630
Buddhismus und Quantenphysik. Die Wirklichkeitsbegriffe Nagarjunas und der Quantenphysik (Taschenbuch)
Von der Wirklichkeit der Diskurse
Der Buddhismus hat seit den Tagen Buddhas zahlreiche Verbreitung und adaptive Verwandlungen erfahren (Diskursformen: Die Dialektik des Buddhismus: Akkomodation (upaya)(Saddharmapundarika-sutra)), sowie systemisch-philosophische Anpassungen. Ob diese „Flexibilität“ zur Verfälschung der „reinen Lehre“ (Dharma) beigetragen hat, ist seit dem ersten Schisma im Buddhismus nicht nur zwischen Theravaddins und Mahayaddins ein beliebtes Thema. Wieviel Wirklichkeit steckt denn noch in den heutigen buddhistischen Schulrichtungen? Welche Art von Wirklichkeit wird wie vertreten?
Mit dem „Auftauchen“ des Buddhismus in der westlichen Welt gab es eine neue theoretische „Wirklichkeitsmatrix“, an der das Dharma sich ausrichten musste. Diese Matrix war aber genauso wenig einheitlich, wie die verschiedenen buddhistischen Strömungen selber, die in Europa Fuß fassten.
Das christlich-säkularisierte Abendland, durch die Aufklärung rationalistisch orientiert und idealistisch-moralisch fixiert, war eine Tummelwiese für nach Gedankenfreiheit strebende Experimentatoren. Jemand wie Schopenhauer sah im Buddhismus einen Paradigmenwechsel und bediente sich gerne für seine philosophische Befreiungsperspektive aus dem „Baukasten der Erleuchteten“, Nietzsche bewunderte in „Ecce homo“ die Taten Buddhas und Philosophen wie Gadamer oder Indologen wie Zimmermann sahen in Buddha den „Verkünder eines universalen Weltethos“. Indologie und Sanskrit wurden „Modefächer“ an den Universitäten, aber im Großen und Ganzen blieb der Buddhismus nur in akademischen Zirkeln Thema.
Mit dem Nationalsozialismus bedienten sich zum ersten Mal politische Gruppierungen am Buddhismus, um eine „Rechtfertigungsstrategie“ für ihre Gräueltaten zu entlehnen, was einer der übelsten Missbräuche am Buddhismus überhaupt war.
Erst nach dem zweiten Weltkrieg gab es einen „echten“ Austausch zwischen buddhistischen Schulrichtungen und europäischem Abendland, da nun wirklich vermehrt verschiedenste Dharmahalter Europa besuchten. Buddhismus hatte als „Spielwiese“ der Gedankenfreiheit ausgedient. Die harte Realität der mönchischen Lebensweise, ohne die diese Religion nicht zu denken ist, traf auf das hedonistische Weltbild der aufgeklärten Weltenbummler, die immer alles gerne anfassen, aber nicht berührt werden wollen. Buddhismus wurde „ en vogue“ und breiteren Schichten zugänglich. Leider wurde und wird er auch von “esoterischen Strömungen“ zur Erklärung merkwürdiger Modelle bzw. Behauptungen missbraucht. Dennoch können wir sagen, dass es eine „buddhistische Realität“ in Europa gibt. Nicht zuletzt feiert heuer die DBU ihr fünfzigjähriges Bestehen.
In Amerika jedoch nahm die Auseinandersetzung eine merkwürdige andere Richtung an. Das Land „der Religionsfreiheit“ und „der von Europa Verstoßenen“ hatte keine doktrinären-dogmatischen Probleme mit dieser „asiatischen Religion“, zumal Amerika als Einwanderungsland viel früher realen pragmatischen Kontakt mit Chinesen, Indochinesen, Japanern, Indern und deren Kulturen hatte.
Darum waren die Diskurse in den USA viel weniger „theologisch“ als philosophisch-naturwissenschaftlich geprägt. Die naturwissenschaftlich-pragmatisch orientierte geistige Elite sah im Buddhismus eine „interessante Weltanschauung“, die nicht mit dubiosen Moralvorstellungen herumhantierte, sondern nachvollziehbare Argumente brachte. Gerade darum nahmen viele Amerikaner den Buddhismus eher als Philosophie auf und verdrängten die religiösen Aspekte. Die reichhaltige Erkenntnistheorie, auf die der Buddhismus selbst in den „vier edlen Wahrheiten“ baut, war Ausgangspunkt für manch „idealistischen Diskurs der Geister“. Darum ist es nicht verwunderlich, dass Abhandlungen mit Themen wie „Logik und Buddhismus“ oder „Ökonomie und Buddhismus“ auftauchten. Es ging in diesen Diskursen selten um Moralvorstellungen, meistens aber um Epistemologie bzw. reale Physik oder Handlungstheorie. Der Anspruch auf Universalität brachte vor allem logozentristisch orientierte Naturphilosophen oder philosophisch gebildete Naturwissenschaftler auf den Plan, sich mit der buddhistischen Gedankenwelt auseinanderzusetzen.
In der Tradition dieser Diskurse können wir das Werk „Buddhismus und Quantenphysik“ von Christian Thomas Kohl einordnen, das dieser Tage im Windpferdverlag erschienen ist. Autor Kohls Ansatz ist für europäische Verhältnisse unorthodox, für buddhistische aber maßgeblich, um einen „neuen“ Wirklichkeitsbegriff im Buddhismus darzustellen.
Die Geschichte des Buddhismus belegt eindeutig, dass Lehrer, Mönche, Dharmahalter, die in anderen Ländern auftauchten, sich vor allem zuerst mit den dort vorherrschenden Religionen bzw. Ideologien und Weltanschauungen in dialektischer Weise auseinandersetzten, sei es in Tibet mit der Bönkultur, in der Mongolei mit dem Steppenschamanismus der Nomaden, in Japan mit dem Shintoismus und dem Bushido, in China mit Taoismus und Konfuzianismus oder in Thailand oder Myanmar mit den chiliastisch-animistischen Herrschervorstellungen.
Was ist also daran so verwunderlich, wenn Herr Kohl die Auseinandersetzung und den Dialog mit den “wahren“, also den bestimmenden Weltverständnissystemen in Europa sucht? Europa ist schon lange nicht mehr so christlich fundamentalisiert, wie so oft gesagt wird, auch wenn der Tod eines „Medienpapstes“ viele „Schaulustige“ anlockt. Seit der Aufklärung ist Europa nicht nur im politischen, sondern auch im religiösen Sinne stetig säkularisiert worden, das angelsächsische schneller und gründlicher als das mitteleuropäische. Heute sind Naturwissenschaft und Politik/Ökonomie an die Stelle von Gottesfurcht und Glaubensgemeinschaft bzw. Gottesgnadenideologie getreten. Das christliche Europa ist nur ein Ansprechpartner unter vielen für die wachsende buddhistische Elite in Europa.
Herr Kohls Ansatz birgt viel mehr „Sprengstoff“ für buddhistisch interne Auseinander-setzungen, als man unter dem lapidaren Titel des Buches vermuten mag: Sein Werk geht vom Wirklichkeitsbegriff Nagarjunas aus und sucht Parallelen in der Quantenphysik und gerade dort wird die Sache heikel. Nagarjuna kann zu Recht als der Begründer einer buddhistischen „Logik“ und als Former der ersten buddhistischen „Apologetik“ bezeichnet werden. Sein Tetralemma wurde und wird auch heute noch Novizen und Mönchen aller Richtungen gelehrt, um „unrichtige“ Glaubensverständnisse zu tilgen, ob in Colombo, Mysore, Dharamsala, Ladakh, Katmandu, oder Bangkok, Angkor Phat, Mandalay, Nanking, Kuming, Shaolin, Taipeh, Kioto , Tuwa u.s.w. . Seine Methoden werden von allen Schulen als gemeinhin universal angesehen. Und weil Nagarjuna allgemeine Anerkennung gefunden hat, ist er ein „günstiger“ Vertreter eines „allgemeinen“ Buddhismus, der mit seiner Argumentation einem „allgemein“ anerkannten naturwissenschaftlichen Diskurs gegenübergestellt wird, zumal die Quantenphysik ebenfalls einem Universalitätsanspruch folgt. Ob eine Gegenüberstellung überhaupt zulässig ist, mag dahingestellt sein, weil es bei Nagarjuna oder in der Quantenphysik auch immer um Epistemologie bzw. grundlegendes Verständnis von den Sachverhältnissen in der Welt geht. Doch ob die Parallelen haltbar sind, die Herr Kohl herausgearbeitet hat, wird eine Menge Diskussionsstoff in bewanderten buddhistischen Kreisen bieten.
Um dies zu verdeutlichen, möchte ich eine Anekdote erzählen, die sich unlängst tatsächlich ereignet hat:
Als letztes Jahr der Dalai Lama das Wiener Physiklabor des Quantenphysikgenies Zeilinger besuchte, kam es zu einer Offenbarung besonderer Art. Professor Anton Zeilinger, auch scherzhaft „Papst der heiligen Verschränkung“ genannt, erklärte dem Oberhaupt der Gelugpasekte seine Versuchsanordnungen und zeigte ihm ein paar hübsche Experimentaltricks mit Photonen. Der Professor wies seine Heiligkeit darauf hin, dass im Mikrokosmos Teilchen einfach so aus dem Nichts entstünden. An dieser Stelle soll der Dalai Lama inne gehalten haben und sein Gesicht entglitt aus der sonst so heiteren Gelassenheit. Irritiert habe der Dalai Lama daraufhin entgegnet, dass es für jedes Ereignis im Kosmos auch eine Ursache gäbe. Die Physiker müssten eben einfach noch genauer hinschauen. Für Zeilinger aber war es klar: Hier gibt es eine offensichtliche Divergenz der Ansichten, denn für ihn steht es zweifelsfrei fest, dass in der Quantenwelt die Kausalität tatsächlich verschwindet.
Herr Kohls Diskurs läuft jedenfalls am Abgrund dieser Kausalitätsschwankungen entlang und man muss sagen, nicht ohne eine gewisse Noblesse. Wer aber diesem Diskurs wirklich folgen will und ihm tiefer begegnen möchte, sollte ein immenses Vorwissen in punkto Quantenphysik und buddhistischer Philosophiegeschichte mitbringen. Denn obwohl Herr Kohl eindringlich versucht „den Ball flach zu halten“ und viele Erklärungen und Einführungen mitliefert, erklimmt das Buch häufig schwindelerregende Höhen. Dieses Opus ist ganz gewiss nichts für „Anfänger“ und für Kenner der Materie wird es oftmals ein „Dorn im Auge“ sein, je nach gepflegter Lehrmeinung. Dennoch ist dieses Buch ein Wurf, wie groß dieser Wurf sein wird, hängt von der Diskussionfreudigkeit der buddhistischen Zirkel ab; denn auch im Buddhismus lässt sich am „Wirklichkeitsbegriff“ vortrefflich vorbeimeditieren.